FrauenBuchKritik – Feministische Literaturkritik am mediacampus
Literaturdozent Osama Ishneiwer berichtet
Am Abend des 12. August folgten etwa 40 Azubis der Einladung, Literaturkritik der Gegenwart kennenzulernen. Nachdem im 179. EBL Denis Scheck, im 180. EBL Jan Drees und im 181. Katharina Borchardt zu Gast waren, stellte diesmal die Verlegerin Britta Jürgs (AvivA Verlag) in ihrer Funktion als Herausgeberin die feministische Rezensionszeitschrift «Virginia FrauenBuchKritik» vor.
Jürgs gab den interessierten Gästen einen unterhaltsamen und informierenden Einblick in die Geschichte und Gegenwart dieser seit 1986 erscheinenden Rezensionszeitschrift, in der ausschließlich Frauen, Bücher von Frauen besprechen. Ein solches Konzept schien der Einen und dem Anderen zunächst nicht nur unbekannt, sondern auch seltsam: Wozu? Warum? Schnell entwickelten sich ein lebhaftes Gespräch und ein bei vielen nachhaltiger Gedankenaustausch: Die Tatsache, dass Autorinnen der vergangenen Jahrhunderte oftmals bis heute nicht in die meist von Männern geschriebenen Literaturgeschichten aufgenommen werden, löste Erstaunen aus. Um ein Beispiel von vielen zu nennen: Georg Büchner kennen wir natürlich alle; doch wer ist eigentlich Luise Büchner?
Aber ist es nicht alles Vergangenheit, diese Unterdrückung, diese Benachteiligung?
Der Abschluss der Veranstaltung bildete ein Zitat aus dem Vorwort zur letztjährigen Herbstbuchmessenausgabe. Im Hinblick auf die aktuelle Debatte um die Longlist des Deutschen Buchpreises mag dieses Vorwort prophetisch erscheinen. Ganz sicher unterstreicht es die Aktualität und die Notwendigkeit eines Projektes wie der Virginia: «[…] immer wieder kommen Diskussionen darüber auf, ob Literaturpreise für Frauen und Rezensionszeitschriften, die ausschließlich Besprechungen von Büchern von Frauen veröffentlichen, nicht längst überflüssig geworden seien. Ein Blick auf die heutige Realität belehrt uns jedoch schnell wieder eines Besseren: Autorinnen wurde nicht nur zur Zeiten der Brontës nahegelegt, unter einem männlichen Pseudonym zu veröffentlichen, sondern bei bestimmten Themen auch heute noch oder zumindest doch – wie bei J.K. Rowling – einen geschlechtsneutralen Vornamen für die Veröffentlichung zu wählen. In den Feuilletons überwiegen die männlichen Rezensenten, die natürlich auch erheblich mehr Bücher von männlichen Autoren besprechen, obwohl jede Umfrage zu dem Thema zu dem Schluss kommt, dass Frauen diejenigen sind, die mehr Bücher kaufen und lesen. Und zudem auch etwa gleichviel Bücher von Autorinnen und Autoren lesen, während Männer kaum je Bücher von Autorinnen lesen.»
In Bezug auf die aktuelle Longlist des Deutschen Buchpreises und noch mehr auf die Diskussion darüber erlaube ich mir einen kurzen politischen Kommentar: Noch immer scheint vielen der alltägliche Sexismus in allen Lebensbereichen nicht klar zu sein. Warum wird beispielsweise überhaupt noch gefragt «Werden Frauen im Literaturbetrieb benachteiligt?» anstatt «Wie beenden wir sexistische Diskriminierung im Literaturbetrieb?»? Gilt es denn etwa nicht, Herrschaftsverhältnisse in Frage zu stellen und zu durchbrechen? Was sonst als dies, wäre gute Kritik? Im Privatem und auf der Arbeit (und bitte: beides ist politisch!)? – Natürlich, dies ist nicht immer einfach auszuhalten, es betrifft einen ja selbst. Aber warum wird nach wissenschaftlichen Studien verlangt, die erstmal beweisen sollen dass… anstatt sich erstmal selbstkritisch an die Nase zu fassen und das eigene Bücherregal zu reflektieren? Viel zu oft wird weggelaufen vor der Kritik und Herrschaft so munter weiter reproduziert. Um dieser Praxis etwas entgegenzusetzen, lud ich die Herausgeberin der Virginia ein. Dass so unmittelbar im Anschluss an die Veranstaltung die aktuelle Notwendigkeit dieses Zeitschriftenprojekts deutlich wurde, war einerseits Zufall, andererseits leider ganz sicher nicht.
Vielen Dank, liebe Frau Jürgs für diesen spannenden Einblick, auch im Namen der Azubis!